Der neue Durchblick

Eine Schülerzeitung von Schüler:innen des Gymnasiums Lerchenfeld


Fokus Obdachlosigkeit: Im Winter auf der Straße

“Obdachlose sind durch den ganzen Stress und die schlechte Ernährung eh schnell angeschlagen, es gibt Notunterkünfte, aber die sind teilweise nicht zumutbar.” – ein Interview mit einem ehemaligen Obdachlosen

Von links nach rechts: Reiner, Lilia, Lili, Uwe

Vorstellung:

Ich bin Uwe. Ich hatte eine Zeit lang den Status als Wohnungslosen und habe bei Hinz und Kunzt Zeitungen verkauft. Mittlerweile bin ich seit 7 Jahren aber fester Mitarbeiter bei Hinz und Kunzt. 

Was sind wohl häufige Gründe für eine Obdachlosigkeit?

Ich kann einmal die häufigsten Gründe nennen. Das wären zum Beispiel eine Scheidung, Spielsucht, Drogensucht oder Alkoholabhängigkeit. Dazu muss man aber auch sagen, es gibt sehr viele Gründe und die sind auch von Person zu Person unterschiedlich. Bei den meisten ist es so, dass sie zum Beispiel in eine Drogensucht hineingeraten und als Folge irgendwann ihre Miete nicht mehr zahlen können. Wenn das passiert, landen die meisten auf der Straße und dort geht dann der Verfall weiter. Also das bedeutet, die Hygiene wird vernachlässigt und irgendwann zählt nur noch, woher man die Drogen bekommen kann. Es ist dann auch egal, wenn die Hose mal dreckig ist oder man eine Woche lang nicht geduscht hat.

Was würden Sie sagen, sind meist die größten Probleme im Leben eines/einer Obdachlosen?

Normalerweise würde man sich nach dem Aufstehen einen Kaffee aufsetzen oder sich frisch machen. Bei einem Obdachlosen fällt dies jedoch alles weg. Der hat das Problem, dass er morgens in seinem Schlafsack aufwacht und dann den ganzen Tag umherlaufen muss. Es gibt ja extra für Wohnungslose Stellen zum Duschen und zum Frühstücken, aber da muss der auch erstmal hinlaufen. Zum Kaffee trinken. Zum Mittagessen. Das hat der alles nicht vor Ort. Oft werden denen dann auch noch die Sachen geklaut. Eigentlich könnten sie Geld vom Amt bekommen, können aber meist nicht die Forderungen erfüllen, weil sie auf der Straße sind. Sie haben ja noch nicht mal eine Postadresse. Es wird gesagt: „Sie können ja einen Kurs machen, der Ihnen helfen kann.” Aber wie sollen die das machen? Sie müssen ja den ganzen Tag rumrennen und wenn denen dann auch noch die Kohle gestrichen wird, denken die sich auch nur noch: “Das Amt kann mich mal, jetzt kümmere ich mich da nicht mehr drum.” Selbst wenn ihm dann jemand ein Zimmer anbietet, könnte er es ja nicht bezahlen.

Wie sah Ihr Alltag als obdachlose Person aus?

Als ich wohnungslos war und Zeitungen verkauft habe, bin ich morgens nach dem Aufstehen erstmal hier zum Hinz und Kunzt-Haus gegangen. Dann habe ich einen Kaffee getrunken, meine Zeitungen mitgenommen und bin dann los, um meine Zeitungen zu verkaufen. Das ist dann schon der erste Schritt zum normalen Alltag. Natürlich gibt es auch einige, die den ganzen Tag um Geld für ihre Drogen betteln müssen.

Viele haben das Vorurteil, dass sich bettelnde Personen von dem Geld Alkohol, Zigaretten, etc. kaufen.  Ist das so?

Den meisten sieht man das an. Wenn einer beispielsweise eine drei Meter lange Alkohol-Fahne hat, dann ist es relativ eindeutig, dass der sich von seinem Geld wahrscheinlich Alkohol kaufen wird. 

Wie können wir als Bürger: innen helfen?

Ihr müsst da erstmal noch nichts vom eurem Taschengeld abgeben, aber vielleicht später, wenn ihr selbst ein Einkommen habt. Ich würde dann nach Gefühl gehen, man kann zum Beispiel auch mal fragen, ob sie ein Kaffee und ein Brötchen haben wollen.

Im Winter ist es draußen kalt und dunkel: Was ergeben sich daraus für Probleme für Obdachlose?

Wenn es in die Minusgrade geht, erfrieren manche. Obdachlose sind ja durch den ganzen Stress und die schlechte Ernährung schnell angeschlagen, es gibt zwar Notunterkünfte, aber die sind teilwiese nicht zumutbar. Außerdem müssen die dort Regeln einhalten, wie z.B. kein Alkohol trinken. Viele haben auch Angst, dass sie in diesen Massenunterkünften beklaut werden oder ihnen Gewalt zugefügt wird. Es sind super viele Menschen auf einem Haufen, mit 4-12 Betten in einem Raum. Das sind so die Probleme, weswegen Wohnungslose trotz des kalten Wetters sagen: “Ne, da geh´ ich nicht hin.”

Sogenannte “Kältebusse” mit warmen Decken und Isomatten, der spendensammelnde “Wärmebus”, eine neue Tagesaufenthaltsstätte in Hamburg-Mitte und das Winternotprogramm mit einer Übernachtungsmöglichkeit in der kalten Jahreszeit: Wird obdachlosen Personen damit genug entgegengekommen oder müsste da noch mehr gemacht werden?

Man müsste definitiv noch mehr machen. Die Notunterkünfte sind überlaufen und nicht sicher genug, eine Lösung wären kleinere Unterkünfte für mehr Privatsphäre und wegzugehen von den Massenunterkünften. Das Geld wird knapp, um sich Essen zu kaufen. Die Wohnungslosen sind teilweise so hilflos, dass sie das alles gar nicht auf die Reihe kriegen. Es gab zum Beispiel mal einen Ein-Euro-Shop in einer Tagesaufenthaltsstätte, die Möglichkeit sich ab 10 Uhr zu duschen, dann gibt es dort auch Mittagessen, eine Kleiderkammer (das wird meist von der Diakonie oder ähnlichen kirchlichen Einrichtungen organisiert) und es wird auf die Hamburger Tafel verwiesen, dort gibt kostenloses Essen.

Mitte Juli letzten Jahres wurde eine Statistik veröffentlicht. Demnach gab es Ende Januar insgesamt 18.915 wohnungslose Menschen in Hamburg.   (https://www.diakonie-hamburg.de/de/presse/pressemitteilungen/Diakonie-fordert-hamburgischen-Aktionsplan/) Pro 100.000 Einwohner: innen gibt es in Hamburg 1.021 Wohnungslose – wobei der Bundesdurchschnitt 213 Wohnungslose pro 100.000 Einwohner beträgt und in Berlin 709 pro 100.000 Einwohner: innen. Wie kommt es dazu, dass Hamburg so viele Obdachlose hat?   https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Diakonie-Hamburg-ist-Hauptstadt-der-Wohnungslosigkeit,obdachlos510.html

Hamburg ist eine Hafen- und Weltstadt und somit eine attraktive Stadt für Obdachlose. Aber es gibt leider eine schlechte Wohnungspolitik in Hamburg.

Müssen die Verkäufer: innen von dem durch die Zeitungen eingenommenen Geld etwas abgeben?  
Wenn die Leute vom Amt Geld bekommen, dann sind hundert Zeitungen kostenlos. Ansonsten kaufen sie die Zeitungen hier bei der Hinz und Kunzt Zentrale für 1,10€ und verkaufen sie dann auf der Straße für 2,20€ – also gibt es 1,10€ Verdienst für die Verkäufer: innen pro Zeitung.

Wie sieht das Wohnkonzept von Hinz&Kunzt aus?

Die einzige Voraussetzung, um hier zu wohnen, ist, dass du bei Hinz und Kunzt Verkäufer: in bist. Die Einwohner: innen sind sehr zufrieden mit den Zimmern hier, die Ausstattung ist gut. Mein Fazit: Viele Einrichtungen sollten sich dieses Wohnkonzept mal anschauen und nicht immer 500 Leute in einer Unterkunft unterbringen. Mit so vielen Leuten aufeinander und sich dann wundern, dass das schief geht. Das ist keine Lösung.

Werbung


Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Über uns

Wir sind die Schülerzeitung des Gymnasiums Lerchenfeld. Wir schreiben über die Gesellschaft, in der wir leben, über unsere Schule und was wir gerne in unserer Freizeit machen. Hast du Lust mitzumachen? Dann schreibe uns z.B. auf Instagram:

%d Bloggern gefällt das: